Influencer

Unsinniges Influencer-Bashing

Influencer-Bashing ist gerade hoch im Kurs. Es scheint voll okay, Influencer als In-Fulenzer abzustempeln, als arbeitsfaule Pseudoinhaltsproduzenten zu belächeln oder als verkleidete Schleichwerber zu beschimpfen.

Der Begriff Influencer selbst ist eine Erfindung der Werbeindustrie, die sich seit eh und je gezwungen sieht, maximale Reichweite innerhalb einer Zielgruppe zu möglichst geringen Kosten zu erzielen. Die ersten Blog-Plattformen waren gleichzeitig die Geburtsstunde von «Influencern». Aus der Ich-Perspektive geschriebene und bewusst meinungsbetonte Artikel sind bis heute die klaren Abgrenzungsmerkmale zu traditionellem journalistischem Inhalt.

Natürlich ging es nicht lange, bis die Marketing-Gurus die glaubwürdigsten und engagiertesten Blogger über Skateboard, Cybersecurity, Make-up oder Yoga als Werbeplattform entdeckten. Und wer konnte es den nahe am Hungertod lebenden, aber umso leidenschaftlicher schreibenden Bloggern übelnehmen,
gegen eine ehrliche und offen deklarierte Product-Review ein paar Dollars einzustecken?

Blogger versus Milchverband

Im Gegensatz zum Schweizer Gesetz gilt in den USA seit 2009 eine strikte Deklarationspflicht von gesponsorten Inhalten von Bloggern bzw. «Influencern». Grundsätzlich ist jeder Blogger eine engagierte Person, die ehrenamtlich sehr viel Zeit, Aufwand und eben Leidenschaft für ein gewisses Thema aufbringt. Ein Mensch, der auf eine gewisse Privatsphäre verzichtet und den Mut hat, eine öffentliche Meinung respektierlich zu vertreten, verdient grundsätzlich Respekt.

Vielleicht mehr Respekt als andere «Influencer» wie der Fleischverband oder der Milchverband, die auf einer für öffentliche Schulen gedachten Plattform gebrandete Inhalte erstellen und diese ungeniert als «Lehrmittel» verkleiden. Im Unterschied zu Bloggern haben solche institutionelle Influencer immer kommerzielle Absichten (warum sonst würden sie denn für die Redaktion und Produktion des «Lehrmittels» zahlen?).

Lehrmittel-Check statt Influencer-Bashing

Eine Annäherung zwischen Schule und Privatwirtschaft auch in der Erarbeitung von Lehrmitteln macht durchaus Sinn, solange die Qualität und Objektivität jederzeit gewährleistet ist. Das interaktive Lehrmittel «Share your Risk» scheint eine durchaus gelungene Gamification, um Risikokompetenz zu vermitteln. Bezahlt dafür hat die Schweizerische Versicherungsgesellschaft.

Aber bekanntlich ist es ja so, dass, wer zahlt, auch befiehlt! Da wir die Blogger mit unserer Aufmerksamkeit bezahlen, genügt im Falle von mangelnder Qualität dessen sofortiger Entzug – Höchststrafe für «Influencer»! Falls unsere Primarschulkinder jedoch mit Lehrmitteln mit dem Namen «Milch in der Schule ist klasse!» konfrontiert werden, wäre volle Aufmerksamkeit verbunden mit kritischem Denken und sofortigem Hinterfragen angebracht.

Sollten wir, anstatt die hungernden «Influencer» zu bashen, unsere Aufmerksamkeit nicht vermehrt der fehlenden Objektivität von gesponserten «Lehrmitteln» widmen – und uns fragen, wie es überhaupt soweit kommen konnte?

Dieser Artikel ist erstmals am 15. November 2018 im Tages-Anzeiger erschienen.

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Sind Avatare göttlich ?

Es ist für unsere Kinder so selbstverständlich wie normal, dass sie ihre YouTube Stars haben und ihren Idolen auf Instagram folgen. Schliesslich brauchen wir alle Vorbilder und inspirierende Menschen, dies ganz besonders während den identitätssuchenden Teenage-Jahren.

YouTube Stars mit Millionen von Abonnenten werden im Fachjargon Influencer genannt. Dies genau deshalb, weil sie einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf ihre grösstenteils jungen Fans haben.

Seit geraumer Zeit gibt es auch sogenannte computer generierte influencer (CGI) die zu hundert Prozent aus Pixel bestehen, jedoch von vielen Jugendlichen als echte Personen wahrgenommen werden. Führende Modemarken profitieren von dieser neuen Generation von Influencer und bekleiden die Avatare mit ihren (virtuellen) Klamotten.

Lil Miquela, eine der berühmtesten CGI, hat mittlerweile über 1,2 Millionen Follower auf Instagram und trägt auch schon mal ein Chanel T-Shirt. Lil Miquelas «Eltern» sind Computer Grafiker und Programmierer des IT StartUps Brud in Los Angeles und verkaufen ihr Geschöpf an führende Marken.

Lil Miquela wearing Chanel
Lil Miquela trägt Chanel   –  Quelle: Business of Fashion

Haben wir in unserer digitalen Welt überhaupt noch einen Anspruch auf Echtheit, wenn es um Bilder und bewegte Bilder geht? Vor ein paar Wochen kam meine bald 15-jährige Tochter von der Schule nach Hause und sagte mir, dass die Schule ihrer Kollegin Zoé die Finger abgeschnitten hätte. Natürlich wurde ich sofort hellhörig und hakte nach, was da wirklich geschah. Zoé war in der ersten Reihe beim Klassenfoto und hatte beim Fotoshooting heimlich und unauffällig den Stinkefinger gezeigt. Da ein erneutes Shooting wahrscheinlich zu teuer wäre und da ein diskreter Stinkefinger auf der Klassenfoto politisch nicht akzeptabel ist, wurde ihr Mittelfinger kurzerhand wegretuschiert. Ästhetik vor Authentizität, also auch in der Schule.

Vielleicht hatten wir ja gar nie einen wirklichen Anspruch auf Echtheit für unsere Influencer. Vielleicht ist dies ja eine ganz normale Entwicklung. Seit über fünfhundert Jahren bewundern wir Michelangelos Gemälde von Gott mit grauem Bart in den Wolken sitzend. Milliarden von Menschen akzeptieren ihn als Influencer, quasi als «IGI», also ein «imaginär generierter influencer». Derweil der IGI unter anderem 10 Gebote offeriert, beschränken sich die CGIs auf schnelllebige Konsumgüter. Avatar kommt übrigens von Avatara, was im Hinduismus körperliche Manifestation eines Gottes bedeutet. Über die Echtheit von Bildern zu sprechen ist sicherlich eine gute Idee. Eine Diskussion über die Werte, die das Bild vermittelt, ist vielleicht noch besser.

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