Internetsucht

Ausgang gesperrt, Bildschirme entsperrt: Kinder müssen zu Hause bleiben


Studen ist ein 3500 Seelen Dorf im Berner Seeland und wird von diesen acht weissen Männern regiert.

Gemeinderat Studen BE

Diese Gemeinderäte haben soeben beschlossen, dass Kinder unter 14 Jahren zwischen 22h und 6h obligatorisch zu Hause sein müssen. Obwohl die Frage, was ein Kind nach 22 Uhr nachts und ohne elterliche Begleitung draussen macht, durchaus berechtigt scheint, stellt dies ein höchst fragwürdiger Eingriff in die Privatsphäre und die individuelle Freiheit dar.

Spätestens seit dem «bleiben sie zu Hause» Mantra während der COVID19 Pandemie wissen wir, dass der Hausarrest die Bildschirmzeit der Kinder massiv steigen liess. Sowohl Fernsehzeit als auch die Nutzung von Games und «sozialen» Medien sind bei Kindern und Jugendlichen während der Pandemie zwischen 40-67 Prozent gestiegen.

Eine viel sinnvollere und nachhaltige Gesundheitsförderung der Kinder und Jugendlichen von Studen und anderswo wäre eine ähnlich klare Regel für die Welt drinnen, vor dem Bildschirm. Die grenzenlosen Risiken eines unkontrollierten Bildschirmkonsums sind unvergleichbar gefährlicher für die psychische und physische Entwicklung der Kinder. Währenddem wir Kinder zu Hause einschliessen, machen bereits im Kindergarten solche Videos die Runde. Kinder in die eigenen vier Wände einzuschliessen, ohne gleichzeitig mindestens einen ebenbürtigen Schutz für die virtuelle Welt zu gewährleisten, könnte sich als ein fataler Fehlentscheid entpuppen. 

Lieber Gemeinderat, liebe EinwohnerInnen von Studen, gerne bin ich bereit, mit euch sinnvolle Regeln für die andere, digitale, und gefährlichere Welt eurer Kinder zu diskutieren.

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Vom Märchen, dass digitale Medien dick, dumm und einsam machen

In einem viel beachteten WIRED Artikel von 2008 suggerierte der damalige Chefredaktor Chris Anderson, dass im Zeitalter von „Big Data“ Korrelationen genügen und eine nachweisbare Kausalität überflüssig werde.

Wahrhaftig eine unverschämte Behauptung, die sich jedoch in den letzten fünfzehn Jahren schleichend immer mehr bestätigt hat, zumindest wenn es um die öffentliche Wahrnehmung von Phänomenen geht. Wir hüpfen von einer Schlagzeile zur Anderen und nehmen uns nicht die Zeit, Kausalitäten zu suchen, geschweige denn zu verstehen. Der Hahn schreit vor dem Sonnenaufgang. Dies ist eine nachweisbare Korrelation. Die Sonne geht jedoch nicht auf, weil der Hahn schreit – die Kausalität zu einer solchen Interpretation fehlt ganz offensichtlich.

Dieser Podcast von EDUCA mit dem „kalten Blick der Statistik“ auf das heiss diskutierte Thema der Digitalisierung der Bildung räumt mit vielen emotional getriebenen Falschinterpretationen auf und ist idealer Ausgangspunkt einer sachlicher Diskussion:

Kritisches Denken gegenüber der rasanten Digitalisierung sind berechtigt. Bestrebungen zu einer bewussten und gesunder Nutzung von digitalen Medien sind essenziell. Es ist jedoch falsch, schädlich und total überspitzt – insbesondere aus Sicht von älteren Menschen auf die Jugend – zu behaupten, dass digitale Medien dick, dumm und einsam machen. Was wir brauchen ist ein konstruktiver und kritischer Dialog, zwischen jung und alt.

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VR Brille für Kinder braucht die Begleitung von Erwachsenen

Sollen Kinder mit Virtual-Reality-Brillen spielen?

Ein Leser fragt sich, ob er seinem Sohn den Kauf einer Virtual-Reality-Brille verbieten soll. In diesem Beitrage diskutiere ich über die Chancen und Gefahren der Technologie.

Leserfrage: Mein Sohn (9 Jahre) durfte kürzlich bei einem Freund zu Hause eine Virtual-Reality-Brille austesten und ist seither regelrecht davon besessen, für eine eigene Brille zu sparen. Mir ist schon klar, dass ein solches Ding unglaublich beeindruckend ist, da man ja in eine fiktive Welt eintauchen kann und dabei Sinneseindrücke wie Geräusche und Berührungen erleben kann. Mir ist allerdings nicht ganz wohl bei dem Gedanken, dass sich ein Neunjähriger hinter einer Brille verschanzt. Was muss ich dazu wissen? Leserfrage von Stefan

Lieber Stefan, danke für die gute Frage. Das enorme Potenzial von Virtual-Reality-Brillen und der audiovisuellen Technologie zwingt uns Eltern, uns näher damit auseinanderzusetzen.

Beim Aufsetzen einer Virtual-Reality-Brille wird den Brillentragenden mittels Bild, Ton und haptischen Impulsen das Gefühl vermittelt, physisch in einer komplett anderen, virtuellen Welt zu sein. Verglichen mit anderen Medien wie Fernsehen, Radio oder klassischen Videogames sind hier verschiedene Dinge grundlegend anders und verdienen eine nähere Betrachtung. 

Grundsätzlich können Virtual-Reality-Brillen uns komplett in eine neue Welt entführen oder aber eine Mischung von der Wirklichkeit mit virtueller Veränderung simulieren (dann spricht man von «augmented reality» oder «mixed reality»).

Die Realität wird ausgeklinkt

Unter unseren klassischen fünf Sinnen Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten nimmt der Sehsinn eine zentrale Rolle ein. Gemäss Studien basieren bis zu 80 Prozent der von unserem Hirn generierten Realität auf dem Sehsinn, der mit Informationen der anderen vier Sinne komplettiert wird. Durch das Aufsetzen von VR-Brillen werden die Augen als unser mit Abstand wichtigstes Realitätsüberprüfungswerkzeug entführt. Die Grenze zwischen innerer, virtueller und äusserer Realität wird verschwommen. Anita Horn, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin, die den Einfluss digitaler Technologien auf die mentale und soziale Entwicklung aus sozialphilosophischer Sicht untersucht, erwähnt: «Die Unterscheidung zwischen verschiedenen Realitätsbereichen gehören zu den wichtigsten Entwicklungsaufgaben von Kindern und Jugendlichen im Kontext einer digitalen Lebens- und Lernwelt. Auch im virtuellen Raum können wir Empathie entwickeln, dabei fehlt jedoch oftmals das zwischenleibliche Korrektiv».

In einer virtuellen Welt entkoppeln wir uns also fast gänzlich von unserem Körper und finden uns je nach Videospiel im Körper eines Muskelhelden oder Sexsklaven wieder.

Die eigene Wahrnehmung ist tendenziell projektiver gefärbt. Damit ein Kind die Wahrnehmungen aus den verschiedenen Realitätsebenen effektiv einordnen kann, braucht es den zwischenleiblichen Austausch und die Reflexion. Kleinkinder erwerben ihre Symbolisierungsfähigkeit und damit das Vermögen, zwischen innerer und äusserer Realität zu unterscheiden, im zwischenleiblichen Austausch mit Bezugspersonen. Also erprobt an einem konkreten Symbolbeispiel. Die Plastizität des kindlichen Gehirns mit seiner hohen Lern- und Anpassungsfähigkeit macht es jedoch auch vulnerabler und manipulierbarer in einer virtuellen Welt. Studien zeigen, dass die virtuelle Realität in der Regel primär als Teil der inneren Realität internalisiert wird.

Körperlos

Immer mehr VR-Games nutzen auch «Motion captures». Dies sind kleine Sensoren, die wie eine Armbanduhr an Händen und Füssen befestigt werden. Anhand der so übermittelten Echtzeit-Positionierungsdaten kann im Videospiel der Körper des Spielenden virtuell abgebildet werden. Durch die VR-Brillen sieht die Spielerin so ihre echten Körperbewegungen, dargestellt in einem fremden Körper, beispielsweise als Drache, Monster oder auch Supermodel.

Wie schnell unser Auge einen virtuellen Körper als den eigenen akzeptiert, zeigt die Gummihand Illusion. In diesem Experiment sitzen Probanden an einem Tisch und legen beide Hände auf den Tisch. Die eine Hand wird dabei verdeckt und durch eine danebenliegende Plastikhand ersetzt. Beim gleichzeitigen Berühren der versteckten Hand und der Plastikhand akzeptiert unser Auge die Plastikhand sofort als die eigene und überträgt die Gefühle auf die virtuelle Hand (übrigens ein tolles Experiment, das Sie mit Ihren Kindern ausprobieren können). In einer virtuellen Welt entkoppeln wir uns also fast gänzlich von unserem Körper und finden uns je nach Videospiel im Körper eines Muskelhelden, Massenmörders oder Sexsklaven wieder.

Totale Aufmerksamkeit

Traditionelle Medien wie Fernsehen oder Youtube auf dem Handy können auch als «Rücklehn-Medien» bezeichnet werden, da wir es uns bequem machen und uns mit Unterhaltung berieseln lassen. Videospiele jedoch sind per Definition interaktiv und verlangen eine ständige Mitwirkung. Genau wie eine Ablenkung durch eine Fliege im Auto kann eine Ablenkung in einem Videogame schnell «tödlich» enden. Die Reizüberflutung, verbunden mit der fehlenden Realitätsüberprüfung, kann zu enormen Stresssituationen führen, in der Kinder schlichtweg überfordert sind.

Übelkeit, Stress und Verwirrung sind bekannte Begleiterscheinungen, die mit der virtuellen Reizüberflutung zunehmen.

Das Phänomen «information overflow» ist in der Aviatik schon seit Jahrzehnten bekannt. Kriegspiloten tragen sogenannte Head-mounted-displays, in denen Duzende von zusätzlichen Informationen direkt ins Helmvisier projektiert werden. Die Menge und die kontextuelle Relevanz der Information steht der limitierten Stressresilienz und der Verarbeitungskapazität der Pilotin gegenüber. Übelkeit, Stress und Verwirrung sind bekannte Begleiterscheinungen, die mit der virtuellen Reizüberflutung zunehmen. Demgegenüber hat die VR-Technologie allerdings unglaubliche Chancen im Bereich von Bildung. Stellen Sie sich vor, anstatt ein langweiliges Geschichtsbuch zu lesen, einfach mal in einen römischen Tempel abzutauchen und diesen mit den Klassenkameraden mittels edukativer Schnitzeljagd zu erforschen!

Begleitung beim Ein- und Ausstieg in eine andere Sinneswelt

Jede VR-Erfahrung ist eine Pause der Wirklichkeit, während der wir in eine andere Sinneswelt eintauchen. Gemäss Anita Horn ist es demnach besonders wichtig, dass Kinder bei den Ein- und Ausstiegsphasen von Eltern begleitet werden. Im Vergleich zu einem Kinobesuch, der uns ebenfalls in eine andere Welt transportiert, fehlen beim Auf- und Absetzen der VR-Brillen oftmals Übergangs- und Verarbeitungsrituale. Durch das Anstehen an der Kasse, den Billettkauf, die Zwischenverpflegung in der Pause und das Gespräch über den Film im Anschluss an den Besuch wird das Erlebnis zu einem klar abgegrenzten Geschehen.

Das Besondere, der Lerneffekt und das Faszinosum, das beispielsweise beim selektiven Einsatz der VR-Brille im Kontext des Unterrichtes erfahrbar wird, weichen mit zunehmender Gewöhnung. Wird die VR-Brille als Bewältigungsstrategie gebraucht, um der konflikthaften Auseinandersetzung mit der äusseren Realität zu entkommen, kann ihr Einfluss ? wie beispielsweise auch beim exzessiven Gamen zu beobachten ist ? zu einem Störfaktor für die Mentalisierungsfähigkeit sowie für die authentische Selbstwahrnehmung werden. Beide Fähigkeiten sind aber grundlegend für die psychische Gesundheit und soziale Beziehungen.

Ich erinnere mich, als ich vor ein paar Jahren in einem VR-Game mitgespielt habe und beim Autofahren nach Hause plötzlich nicht mehr sicher war, ob dies jetzt echt oder virtuell war. Besprechen Sie die Erwartungen vor dem Einstieg und die Eindrücke nach dem Ausstieg mit ihren Kindern ? auf diese Weise verankern Sie VR in der Wirklichkeit. 

Inhalte unbedingt überprüfen

Da die Spielenden gezwungenermassen durch die VR-Brillen von der Umwelt abgeschottet sind, erschwert dies auch eine Inhaltsüberprüfung. In VR-Spielzentren wird dazu die Sicht des Spielenden gleichzeitig auf einem Fernseher übertragen. Aus den besprochenen Gründen haben zum Beispiel Shooter Games im VR-Modus eine noch viel tiefere Wirkung, für dessen Verarbeitung und Rückkehr zur Normalität eine entsprechende «Ich-Stärke» vorhanden sein muss. Wie praktisch bei allen unterhaltungstechnologischen Innovationen, ist die Pornoindustrie auch bei VR-Inhalten führend. Letztere erwartet eine 26-fache, weltweite Umsatzsteigerung von pornografischen VR-Applikationen in den nächsten fünf Jahren. Während die Altersfreigaben bei herkömmlichen Videospielen nach wie vor Empfehlungen sind (die ich einzuhalten empfehle), sind wir Eltern bei VR-Games regelrecht aufgefordert, unsere Erziehungsverantwortung wahrzunehmen. 

Zentral sind dabei die Begleitung und die Aufklärungsarbeit. Ich ermutige Sie deshalb alle zu einer eigenen VR-Erfahrung oder zu einem VR-Spiel gemeinsam mit Ihren Kindern. Besprechen und vergleichen Sie danach Ihre Eindrücke. Denn wie bei allen neuen Medien gilt es, dessen Potenzial zu verstehen und auch die positiven Seiten kreativ zu nutzen. Wie sagte einst schon Paracelsus: «Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.»

Was haltet Ihr von Virtual-Reality-Brillen, liebe Leserschaft? Habt Ihr auch schon Erfahrungen gesammelt? Wir sind gespannt auf Eure Kommentare.

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Ist Mein Sohn Handysüchtig?

Ist mein Kind handysüchtig?

Selbst auf dem Skilift und WC ? der Sohn einer Leserin kann seinen Blick nicht mehr vom Handy lassen. Normales Verhalten oder bereits eine Sucht? Dazu einige Definitionen und Tipps.

Als wir mit Freunden in den Skiferien waren, hat sich unser Ältester (14) jeweils nur widerwillig von seinem Handy getrennt. Und dies, obwohl auch noch andere Kinder zugegen waren. Wo er stand und sass, starrte er in sein Ding. Auf dem Skilift, auf dem WC, selbst beim Laufen konnte er seinen Blick nicht vom Bildschirm lassen. Mir ist bewusst, dass sich heutzutage sehr viele Menschen so verhalten, aber wenn man es beim eigenen Kind beobachtet, läuft es einem schon kalt den Rücken runter. Ab wann spricht man eigentlich von einer Handysucht? Leserfrage von Pia aus Zürich

Liebe Pia, besten Dank für Ihre Frage. Durch die teils markant gestiegene Bildschirmzeit während der Pandemie ist Ihre Frage aktueller denn je. Lassen Sie uns erstmals das Wort «Sucht» so gut wie möglich klären, um danach die Symptome von Handy-, Game- oder Internetsucht zu diskutieren und schlussendlich einige Tipps zur Suchtprävention zusammenzustellen.

Was ist Sucht?

«Handysucht», «Gamesucht», «pathologischer Internetgebrauch», «Internetsucht» oder «Onlinesucht» sind alles austauschbare Begriffe. Obwohl es zunehmend wissenschaftliche Forschungen und Studien zum Thema gibt, fehlt eine einheitliche Definition. Es wird deshalb auch der Begriff von internetbezogenen Störungen (IBS) benutzt. Als diagnostizierbare Krankheit hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit 2018 eine «gaming disorder» definiert. Die Erforschung von Verhaltenssüchten (Computerspielsucht, Pornosucht, Kaufsucht usw.) ist noch recht jung, da sich die Suchtforschung traditionell immer sogenannten Konsumsüchten (Alkohol, Tabak usw.) widmete.

Damit wir also überhaupt von Sucht reden können, muss sich das Kind der Schädlichkeit seines Verhaltens bewusst sein.

Um mit Computerspielsucht diagnostiziert zu werden, muss ein Kontrollverlust, eine erhöhte Priorität fürs Gamen, eine gleichzeitige Vernachlässigung von anderen Interessen oder Aktivitäten sowie eine Fortsetzung oder Zunahme trotz schädlicher Auswirkungen erkennbar sein. Damit wir also überhaupt von Sucht reden können, muss sich das Kind oder der Erwachsene der Schädlichkeit seines Verhaltens bewusst sein.

Wie erkenne ich eine Sucht?

Gemäss der JAMES Studie 2020 liegt die durchschnittliche, tägliche Handyzeit von Jugendlichen zurzeit bei 3 Stunden und 47 Minuten unter der Woche und bei 5 Stunden 16 Minuten an Wochenendtagen, was einer fast zweistündigen Zunahme innerhalb von zwei Jahren gleichkommt. Die stetig steigende Bildschirmzeit ist ein rein quantitatives Indiz auf ein eventuelles Suchtverhalten. Andere Anzeichen sind ein steter Wunsch oder Zwang, das Handy anzuschalten ? vielfach aus Angst, etwas zu verpassen. Hier spricht man auch von «Fomo», eine englische Abkürzung für «Fear of missing out». 

Wenn dazu noch Vernachlässigungen von Pflichten (z. B. Hausaufgaben, Training), Freundschaften oder sozialen Kontakten kommen sowie andere Beeinträchtigungen wie Schlafmangel, Isolation oder Konzentrationsschwierigkeiten, spricht man von einem suchtartigen Verhalten.

Da es keine generell gültige Handyzeit gibt und es auf ein gesundes Gleichgewicht zwischen reellem und virtuellem Leben ankommt, sollten Eltern vor allem auf die oben beschriebenen Symptome Acht geben. Als schnelle Selbsteinschätzung empfiehlt es sich, einen Selbsttest zu machen. Je nach Resultat macht es allenfalls Sinn, eine Fachperson oder eine Fachstelle für Internet-Suchtprävention aufzusuchen.

Was kann ich dagegen tun?

Grundsätzlich sollten wir uns vergegenwärtigen, dass sowohl die «sozialen» Plattformen als auch die Free-to-play-Games keineswegs «gratis» sind. Da wir mit unseren Daten bezahlen und da wir nur Daten generieren, wenn wir online sind, sind sowohl die sozialen Plattformen, wie auch die Free-to-play-Spiele darauf optimiert, uns so schnell wie möglich süchtig zu machen. Dazu kann ich ihnen den Film «Das Dilemma mit den Sozialen Medien» auf Netflix empfehlen. Schauen sie den Film am besten mit den Kindern an und diskutieren Sie danach darüber. Mediensuchtprävention funktioniert am besten, wenn diese zusammen mit den Kindern erarbeitet wird und wenn wir den Kindern die gesundheitlichen Folgen erklären können.

Bei allem Erklären sind jedoch klare Handy- und Internetnutzungsregeln, vor allem im Alter zwischen zwei bis etwa fünfzehn Jahren, unabdinglich (wobei ein Handy unter zehn Jahren vermieden werden sollte). Am besten gelingt dies, wenn die Regeln zusammen mit dem Kind ausgearbeitet werden. Diskutieren Sie offen und konstruktiv und nehmen Sie die Argumente der Kinder ernst. Erklären Sie den Kindern auch die gesundheitlichen Risiken: dass die Frequenz des blauen Lichtes des Handys für die Netzhaut des Auges schädlich sein kann, dass die Aggressionen nach einem knapp verlorenen Shootergame störend sind und dass der Wunsch nach perfektem Aussehen depressive Gefühle wecken kann, da die Vorbilder allesamt mit zig Filtern nachbearbeitet sind.

Kinder sind sich durchwegs bewusst, dass es Regeln und Grenzen braucht, und wünschen sich dabei auch die elterliche Hilfe.

Die Chancen, dass Regeln eingehalten werden, sind viel höher, wenn das Kind die Gründe der Regeln versteht anstatt es die elterliche Autorität einfach schlucken muss. Scheuen Sie sich jedoch nicht, gewisse Grundregeln (z. B. kein Handy beim Essen, Handy vor dem Schlafen aus dem Schlafzimmer, kein Ego-Shooter-Game vor dem Einschlafen, mindestens acht Stunden Schlaf, Altersfreigaben respektieren) resolut durchzusetzen, denn die Verantwortung liegt bei Ihnen.

Erstellen Sie einen schriftlichen Vertrag zum Beispiel mit dieser Website, bei der Sie viele vorgefertigten Regeln zusammenstellen und anpassen können. Ein fairer Vertrag sollte auch unsere elterliche Verantwortung miteinbeziehen. So kann eine Regel uns beispielsweise verbieten, das Kind beim konzentrierten Gamen zu unterbrechen. Wir sollten uns auch verpflichten, unserer Vorbildrolle bei der eigenen Bildschirmnutzung gerecht zu werden.

Alternativen schaffen

Gemäss neuen Studien sind sich Kinder durchwegs bewusst, dass es Regeln und Grenzen braucht, und wünschen sich dabei auch die elterliche Hilfe. Viele Jugendliche versuchen bereits selbst, weniger Zeit am Handy zu verbringen, schaffen es aber nicht. Als ich vor ein paar Wochen mit einer Zürcher Gymnasiumsklasse Alternativen oder Handysucht-Abhilfen erarbeitete, haben Schülerinnen empfohlen, dass Swisscom mit jedem neuen Handy gleichzeitig ein Handygefängnis verkaufen sollte, um das Objekt der Begierde wegzusperren!

Helfens Sie den Kindern generell, den Zugang zum Handy zu erschweren (Ladekabel in der Küche fixieren; Handybox, wo nach einer gewissen Zeit die Smartphones versorgt werden). Die Apps mit hohem Suchtpotenzial wie Tiktok oder Snapchat können auf dem Handy auch in ein eigens dafür geschaffenes Menü gesteckt werden, das beispielsweise als letzte Menüseite angezeigt wird. Unterstützen Sie die Kinder beim Erarbeiten und Erfinden von Alternativen wie Gesellschaftsspiele oder Outdooraktivitäten. Am besten gelingt dies, wenn wir sie aktiv unterstützen und zum Beispiel handyfreie Familientage organisieren.

Falls jedoch Symptome wie Isolation, Vernachlässigung von sozialen Kontakten, Essstörungen, Konzentrationsschwäche gepaart mit zunehmender Bildschirmzeit anhalten, empfiehlt es sich, externe Unterstützung zur Medienerziehung beizuziehen.

Dieser Artikel erschien erstmals im Tages-Anzeiger am 18. Februar 2022

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