Privatsphäre

Ausgang gesperrt, Bildschirme entsperrt: Kinder müssen zu Hause bleiben


Studen ist ein 3500 Seelen Dorf im Berner Seeland und wird von diesen acht weissen Männern regiert.

Gemeinderat Studen BE

Diese Gemeinderäte haben soeben beschlossen, dass Kinder unter 14 Jahren zwischen 22h und 6h obligatorisch zu Hause sein müssen. Obwohl die Frage, was ein Kind nach 22 Uhr nachts und ohne elterliche Begleitung draussen macht, durchaus berechtigt scheint, stellt dies ein höchst fragwürdiger Eingriff in die Privatsphäre und die individuelle Freiheit dar.

Spätestens seit dem «bleiben sie zu Hause» Mantra während der COVID19 Pandemie wissen wir, dass der Hausarrest die Bildschirmzeit der Kinder massiv steigen liess. Sowohl Fernsehzeit als auch die Nutzung von Games und «sozialen» Medien sind bei Kindern und Jugendlichen während der Pandemie zwischen 40-67 Prozent gestiegen.

Eine viel sinnvollere und nachhaltige Gesundheitsförderung der Kinder und Jugendlichen von Studen und anderswo wäre eine ähnlich klare Regel für die Welt drinnen, vor dem Bildschirm. Die grenzenlosen Risiken eines unkontrollierten Bildschirmkonsums sind unvergleichbar gefährlicher für die psychische und physische Entwicklung der Kinder. Währenddem wir Kinder zu Hause einschliessen, machen bereits im Kindergarten solche Videos die Runde. Kinder in die eigenen vier Wände einzuschliessen, ohne gleichzeitig mindestens einen ebenbürtigen Schutz für die virtuelle Welt zu gewährleisten, könnte sich als ein fataler Fehlentscheid entpuppen. 

Lieber Gemeinderat, liebe EinwohnerInnen von Studen, gerne bin ich bereit, mit euch sinnvolle Regeln für die andere, digitale, und gefährlichere Welt eurer Kinder zu diskutieren.

Ausgang gesperrt, Bildschirme entsperrt: Kinder müssen zu Hause bleiben Read More »

«Be real» ? echt jetzt?

Psychologische Tricks und fragwürdige AGBs: Was Eltern über die Social-Media-App BeReal wissen müssen.

Leserfrage: Meine Tochter (14) ist ohnehin ziemlich viel auf Social-Media-Kanälen unterwegs, neu ist aber eine App hinzugekommen, die ich nicht wirklich einschätzen kann. Es handelt sich um «BeReal», bei der es ja darum geht, «ungeschönte» Bilder ? es gibt weder Fotofilter noch Nachbearbeitungsmöglichkeiten ? möglichst schnell hochzuladen. Was mich beschäftigt: Wer die Bilder «verspätet», also nicht unmittelbar auf die Aufforderung hin postet, wird mit «late» markiert und damit sozusagen gebrandmarkt. Zudem sollen die Nutzerinnen auf BeReal posten, ohne viel nachzudenken, was ich ebenfalls für fragwürdig halte. Wie seht ihr das? Und was sollten wir als Eltern über BeReal wissen? Liebe Grüsse: Tanja

Liebe Tanja, besten Dank für Ihre Frage. BeReal ist effektiv eine weitere «soziale» Plattform, die seit 2020 um die Aufmerksamkeit von vorwiegend jüngeren Nutzerinnen und Nutzern kämpft. Hinter der Plattform stehen zwei französische Software-Entwickler, die wiederum von denselben Tech-Investoren finanziert werden, die unter anderem auch Geld in Facebook, Twitter und die Spieleplattform Roblox gesteckt haben. Die Geschäftsstruktur lässt demnach erraten, dass die Idee des echten und authentischen Seins mehr eine Marketingpositionierung als eine ernst gemeinte Aufmunterung zu mehr Selbstwertgefühl für Jugendliche ist.

Wie User an die Plattform gebunden werden

Anders als beispielsweise auf Snapchat oder Instagram, wo junge Menschen zum Teil Stunden verbringen, um das perfekte Selfie noch mit unzähligen Filtern zu optimieren, fordert BeReal die Nutzerinnen und Nutzer täglich auf, ein spontanes Foto von sich zu erstellen und zu teilen. Die Zeit der automatisch gesandten Aufforderung variiert, da man aus Belohnungssystemen von Games weiss, dass das Engagement der Nutzer höher ist, wenn man zu verschiedenen Zeiten überrascht wird. Die App sieht dann vor, dass Nutzerinnen innert zwei Minuten Fotos sowohl mit der auf sich gerichteten Kamera als auch mit der Kameraeinstellung in die Gegenrichtung machen. So entsteht ein möglichst realistisches Foto-Tagebuch, das dann mit Freunden geteilt, geliked und kommentiert werden kann.

Das sind psychologische Tricks, um die Nutzerinnen und Nutzer möglichst lange, möglichst oft und meist unbewusst an die Plattformen zu binden.

Um weiter Druck auf die Nutzerinnen und Nutzer auszuüben, sind die Fotos der Freunde nur so lange zu sehen, bis das nächste Foto hochgeladen wird, sprich ein Tag. Eingeführt von Snapchat und nachgeahmt von Instagram, wird diese Technik der Zeitlimitierung auch als «Dark Pattern» verstanden. Es sind dies psychologische Tricks, um die Nutzerinnen und Nutzer möglichst lange, möglichst oft und meist unbewusst an die Plattformen zu binden. Gelöscht werden die unsichtbar gewordenen Fotos jedoch nicht. Dazu aber später.

Wer zu viele Versuche braucht, wird ausgelacht

Wer es nicht schafft, innert zwei Minuten zwei spontane Fotos zu erstellen (die Fotos können ausschliesslich in Echtzeit und mit der von der App aktivierten Kamera geschossen werden) wird von der App sofort und vor allen Freunden mit der Anzahl Stunden, die man zu spät ist ? «late!» ? ermahnt. Auch diejenigen, die mehrere Versuche brauchen, um ein teilbares Foto zu erstellen, werden mit der angezeigten Anzahl der Versuche quasi an den Pranger gestellt. So entsteht ein mehrschichtiger sozialer Druck, einerseits um erst mal den Grundansprüchen der App selbst gerecht zu werden, andererseits jedoch, um so authentisch wie möglich zu sein.

Wer fünfzehn Versuche braucht, um ein «spontanes» Foto zu erstellen, wird dann schon mal ausgelacht, was sich wiederum negativ auf das Selbstwertgefühl der Person auswirken kann. Durch den Zeitdruck entstehen in der Tat spontanere Fotos, bei denen der Hintergrund umso alltäglicher ist. Essgewohnheiten, Autonummern, Zimmereinrichtungen, Klassenzimmerdekoration und vieles mehr geben nicht nur unwahrscheinlich viel private Informationen preis, sondern werden auch gleich auf einer für alle «Freunde» einsehbaren Karte angezeigt, um alles sofort geografisch zu orten.

Und woher kommt das ganze Geld?

Der einzige «Mehrwert» für Nutzerinnen und Nutzer der Plattform besteht darin, die Attraktivität des eigenen täglichen Lebens mit demjenigen von anderen Freunden zu vergleichen. So entsteht auch hier das allmähliche Unbehagen, das das eigene Leben langweiliger ist als das der anderen, was wiederum depressive Gedanken auslösen kann.

Apropos Mehrwert: Die App, die bis jetzt weltweit rund 53 Millionen Mal installiert wurde und dessen Marktwert zurzeit auf etwa 600 Millionen US-Dollar geschätzt wird, verdient offiziell keinen Rappen. Anders als Instagram, Tiktok und Snapchat, gibt es auf BeReal keine Werbung. Woher soll dann das Geld sprudeln? Der Verdacht liegt nahe, dass Hunderte von Fotos der gleichen Person, in gleichen zeitlichen Abständen aber in verschiedensten Situationen, eine wertvolle Datenbank zur Fütterung von selbstlernenden Gesichtserkennungsalgorithmen darstellt.

Es darf vermutet werden, dass die Fotos wertvolles Rohmaterial für Überwachungssysteme darstellen, die auf künstlicher Intelligenz basieren.

Die übliche Exit-Strategie der Investoren, eine magische Marke von z. B. 100 Millionen Benutzerinnen und Benutzern zu erreichen und zu hoffen, von einem grossen Player aufgekauft zu werden, ist immer mehr Geldgebern zu riskant. Es darf also vermutet werden, dass die Fotos von grösstenteils ahnungslosen Jugendlichen wertvolles Rohmaterial für Überwachungssysteme darstellen, die auf künstlicher Intelligenz basieren.

Die allgemeinen Geschäftsbedingungen von BeReal sehen eine dreissigjährige (!) Bewilligung vor, während der die Plattformbetreiber Inhalte von Nutzerinnen und Nutzern auf anderen «sozialen» Plattformen wie WhatsApp oder Instagram teilen dürfen. Natürlich dürfen die nutzergenerierten Inhalte auch gehostet, gespeichert, reproduziert, modifiziert und unterlizenziert werden. Währenddessen darf von den Nutzern nur ein Foto pro Tag gelöscht werden. Weitsichtig, ja fast schon sarkastisch, erwähnt der Plattformbetreiber übrigens explizit, dass er nicht für verlorene Zeit und Gelegenheiten haftbar gemacht werden kann.

Deshalb mein Rat: Be real, geh raus auf die Strasse und triff dich mit Freundinnen und Freunden ? heute mal ohne Handy!

Dieser Artikel wurde erstmals im Tages-Anzeiger vom 10. Februar 2023 publiziert.

«Be real» ? echt jetzt? Read More »

Projekt „Fortnite – Spass ja, Sucht nein!“ trifft den Nerv der Zeit

Gemäss einer neuen Umfrage von EU-Kids Schweiz 2019 triff Das Angebot Fortnite : Spass ja, Sucht nein! den Nerv der Zeit. Im Zusammenhang mit Medienerziehung sind die drei grössten Wünsche der Lehrpersonen sinnvolle Apps für den Schulalltag (73%), Hilfe gegen übermässige Mediennutzung (61%) sowie Unterstützung gegen Cybermobbing (60%).

Die cloud-basierte und automatisch aktualisierte Spielzeit Statistik von Projektteilnehmer kann durchaus als sinnvolle App für den Schulalltag betrachtet werden. Die Messdaten eliminieren eine grosse Grauzone (Mediennutzungs Regeln und deren Interpretation und Einhaltung) und zielen direkt auf eine Mässigung der Mediennutzung.

Ohne die Komplexität einer ausgeglichenen Medienerziehung auf die Spielzeit zu reduzieren, dienen die automatisch aktualisierten Spielstatistiken als konkreter Ansatzpunkt um übermässiges gamen zu verhindern. Während die Kinder eine konstruktive Gruppendynamik entwickeln, werden die Eltern durch individuelles Coaching in ihrer Medienerziehungsrolle unterstützt.

Das Angebot kann ab sofort gebucht werden. Bei Fragen stehe ich gerne zur Verfügung. Beat (at) richert.com oder 079 880 89 28.

Projekt „Fortnite – Spass ja, Sucht nein!“ trifft den Nerv der Zeit Read More »

So kauft man eine Banane im Zürcher Hauptbahnhof

Sie sind mit ihrem Nachwuchs unterwegs und möchten noch kurz eine Banane als Znüni kaufen, bevor?s ab in den Zug geht? Nichts leichter als das. Sie haben grundsätzlich zwei Möglichkeiten:

Plan 1:

Sie machen es modern und elektronisch. Dazu müssen sie ein Handy mit genügend Akku und einen funktionierendem Internet Anschluss haben. So können sie die App «avec» von Valora runterladen und installieren. Um diese zu aktivieren, müssen sie ihren kompletten Namen, ihr Geburtsdatum, einen Ausweis mit Foto, Ausweisnummer und Ablaufdatum sowie ihre Nationalität hinterlegen. Desweitern natürlich ihre Kreditkarten Nummer, ihre Telefon Nummer wie auch E-Mail-Adresse. Ist dies Mal gemacht, müssen sie auch die Nutzungsbedingungen und die damit verbundene Datenschutzerklärung akzeptieren. So geben sie der Valora Schweiz AG zum Beispiel das Recht, die Kamera ihres Handys zu benutzen, ihren USB Speicher zu lesen, durch Netzwerk Verbindungsdaten ihren genauen Standort zu berechnen und ihrem Handy den Schlaf(modus) zu entziehen. Ihre persönlichen Daten können dann z.B. für Aufklärungen von Straftaten genutzt werden. Falls sie zum Beispiel überdurchschnittlich lange vor dem Tabakregal stehenbleiben, ohne zu kaufen, könnten die mit Gesichtserkennungs-Software ausgestatteten Überwachungskameras und die Bewegungssensoren dies als «verdächtig» einstufen. Könnte ja sein, dass sie entweder noch nie Zigaretten gekauft haben oder dass der Gesichtserkennungsalgorithmus sie als Minderjährig einstuft. Die Videoaufnahmen von ihrem Besuch werden dann solange gespeichert, wie es die Valora erforderlich erachtet. Valora will explizit nicht nur Straftaten aufklären, sondern diese auch proaktiv verhindern, genauso wie Tom Cruise als Precrime Detektiv im Film Minority Report.

Da sie die App entweder durch den Apple oder Google Store runtergeladen haben, sind auch Ortungs- und Identifikationsdaten von Ihnen (IP Adresse, Geräte- und Telefon Nummer etc.) mit Google und Apple geteilt worden. Somit wissen auch die amerikanischen Behörden was grad so läuft. Da kann aber Valora nichts dafür. Für «andere berechtigte Interessen» jedoch kann Valora ihre Daten auch mit ihren Tochterunternehmen teilen. So können ihre Daten durchaus mit den über 350 Back Werk Bäckereien in Deutschland, mit den Brezelkönig Läden, den Café Spettacolo und vielen anderen Valora Mitgliedern geteilt werden, denn Verkaufsförderung durch Datenanalyse kann durchaus als «berechtigtes Interesse» der Valora interpretiert werden. Die Daten werden übrigens in der Schweiz bearbeitet und dann in Cloud Servern in Deutschland und in Irland gespeichert. Falls mit diesen Rechenzentren keine für die Schweiz verbindlichen Vertragsklauseln bestehen, verlässt man sich gutgläubig auf eine «Selbstzertifizierung» dieser Unternehmen. Sollte Valora selbst mal aufgekauft werden, z.B. von Amazon oder Walmart, dann darf der neue Besitzer natürlich auch wissen, wie viele Bananen sie gekauft haben.

Also, alles akzeptiert und aktiviert. Jetzt können sie die «avec Box», d.h. den unbedienten Containerladen, betreten, indem sie einen QR Code scannen und der Box sagen, wer sie sind und dass sie genügend Geld haben, um eine Banane zu kaufen. Schnappen sie sich die Banane, wägen sie diese, und scannen sie den richtigen Code ein. Sollte es Probleme beim Scannen geben, können sie einfach die App Hotline anrufen. Es kann auch sein, dass ihr Handy Akku mittlerweile den Geist aufgegeben hat. Vergewissern sie sich in diesem Fall, dass ihr virtueller Einkaufskorb leer ist, und verlassen sie den Laden diskret, natürlich ohne Banane. Bei erfolglosem Bananenkauf auf keinen Fall den Notfall-Knopf drücken, denn dies müsste ihnen mit Umtriebskosten von Fr. 150 belastet werden.

 

Plan 2:

Griff in den Hosensack und Barbezahlung der Banane mit einem Einfränkler bei einem Gemüseverkäufer.

Foto Quelle: www.Fotoristretto.ch 

So kauft man eine Banane im Zürcher Hauptbahnhof Read More »

Unsinniges Influencer-Bashing

Influencer-Bashing ist gerade hoch im Kurs. Es scheint voll okay, Influencer als In-Fulenzer abzustempeln, als arbeitsfaule Pseudoinhaltsproduzenten zu belächeln oder als verkleidete Schleichwerber zu beschimpfen.

Der Begriff Influencer selbst ist eine Erfindung der Werbeindustrie, die sich seit eh und je gezwungen sieht, maximale Reichweite innerhalb einer Zielgruppe zu möglichst geringen Kosten zu erzielen. Die ersten Blog-Plattformen waren gleichzeitig die Geburtsstunde von «Influencern». Aus der Ich-Perspektive geschriebene und bewusst meinungsbetonte Artikel sind bis heute die klaren Abgrenzungsmerkmale zu traditionellem journalistischem Inhalt.

Natürlich ging es nicht lange, bis die Marketing-Gurus die glaubwürdigsten und engagiertesten Blogger über Skateboard, Cybersecurity, Make-up oder Yoga als Werbeplattform entdeckten. Und wer konnte es den nahe am Hungertod lebenden, aber umso leidenschaftlicher schreibenden Bloggern übelnehmen,
gegen eine ehrliche und offen deklarierte Product-Review ein paar Dollars einzustecken?

Blogger versus Milchverband

Im Gegensatz zum Schweizer Gesetz gilt in den USA seit 2009 eine strikte Deklarationspflicht von gesponsorten Inhalten von Bloggern bzw. «Influencern». Grundsätzlich ist jeder Blogger eine engagierte Person, die ehrenamtlich sehr viel Zeit, Aufwand und eben Leidenschaft für ein gewisses Thema aufbringt. Ein Mensch, der auf eine gewisse Privatsphäre verzichtet und den Mut hat, eine öffentliche Meinung respektierlich zu vertreten, verdient grundsätzlich Respekt.

Vielleicht mehr Respekt als andere «Influencer» wie der Fleischverband oder der Milchverband, die auf einer für öffentliche Schulen gedachten Plattform gebrandete Inhalte erstellen und diese ungeniert als «Lehrmittel» verkleiden. Im Unterschied zu Bloggern haben solche institutionelle Influencer immer kommerzielle Absichten (warum sonst würden sie denn für die Redaktion und Produktion des «Lehrmittels» zahlen?).

Lehrmittel-Check statt Influencer-Bashing

Eine Annäherung zwischen Schule und Privatwirtschaft auch in der Erarbeitung von Lehrmitteln macht durchaus Sinn, solange die Qualität und Objektivität jederzeit gewährleistet ist. Das interaktive Lehrmittel «Share your Risk» scheint eine durchaus gelungene Gamification, um Risikokompetenz zu vermitteln. Bezahlt dafür hat die Schweizerische Versicherungsgesellschaft.

Aber bekanntlich ist es ja so, dass, wer zahlt, auch befiehlt! Da wir die Blogger mit unserer Aufmerksamkeit bezahlen, genügt im Falle von mangelnder Qualität dessen sofortiger Entzug ? Höchststrafe für «Influencer»! Falls unsere Primarschulkinder jedoch mit Lehrmitteln mit dem Namen «Milch in der Schule ist klasse!» konfrontiert werden, wäre volle Aufmerksamkeit verbunden mit kritischem Denken und sofortigem Hinterfragen angebracht.

Sollten wir, anstatt die hungernden «Influencer» zu bashen, unsere Aufmerksamkeit nicht vermehrt der fehlenden Objektivität von gesponserten «Lehrmitteln» widmen ? und uns fragen, wie es überhaupt soweit kommen konnte?

Dieser Artikel ist erstmals am 15. November 2018 im Tages-Anzeiger erschienen.

Unsinniges Influencer-Bashing Read More »

Brauchen wir eine neue geistige Landesverteidigung?

Es geht uns gut, verdammt gut sogar. Die Lebensqualität in der Schweiz ist seit Jahren eine der höchsten der Welt und nur die Japaner können ein längeres Leben erwarten als wir. Wenn es um das pro-Kopf Reichtum geht sind wir einsame Spitze. Immer mehr zu einem special Feature im Vergleich zur geopolitischen Lage wird auch unsere funktionierende, direkte Demokratie. Auf unser beispielhaftes politisches System, wo wir alle dank Volksinitiative, Abstimmung und Referendum mitbeStimmen können, sind sogar Schweden, Kanadier und Deutsche neidisch.

Um dieses wertvolle Privileg der MitbeStimmung zu erhalten und auch in Zukunft zu schützen, werden wir im November eingeladen, um über die Selbstbestimmungsinitiative abzustimmen. An sich eine tolle und unterstützungswerte Idee, sagten sich ja schon die drei Ur-Eidgenossen, als sie sich auf dem Rütli Solidarität gegen fremde Vögte schwuren.

Doch eine funktionierende Selbstbestimmung setzt eine gesunde und objektive Meinungsbildung voraus. Glaubt man der Media Use Index 2017 Studie, ist das Internet via Smartphone die meistbenutzte News Quelle der Schweizerinnen und Schweizer während Tageszeitungen die grossen Verlierer sind. Der Reihe nach die beliebtesten Smartphone Apps sind WhatsApp, Facebook und Instagram. Da alle dieser drei Apps bzw. Plattformen dem Facebook Konzern gehören, müssen wir davon ausgehen, dass Facebook eine unheimliche Macht auf unsere Meinungsbildung hat.

Eine funktionierende Selbstbestimmung setzt eine gesunde und objektive Meinungsbildung voraus

Facebook hat jedoch herzlich wenig mit einem News Outlet zu tun, sondern ist ein börsenkotiertes US Software Unternehmen, das zu vierteljähriger Gewinnmaximierung für ihre Aktionäre verpflichtet ist. Anstatt informative Inhalte teuer selbst zu produzieren, werden die Nutzer mit dopamingenerierenden «likes» abgespiesen und durch nutzergenerierte Inhalte vor dem Bildschirm gehalten. Anstatt durch objektive Berichterstattung Reichweite aufzubauen, werden Fake News als click baits geduldet und deren Erstellung selbstverständlich an die Nutzer delegiert. Vermeidet Kosten und Verantwortung. Teure Vertriebskosten werden clever an die Nutzer abgewälzt, denn die personalisierten «News» sind ja unseren individuellen «Bedürfnissen» angepasst, damit wir die «News» dann auch mit unseren «Freunden» weiterleiten. Auch teure Bilderrechte für sympathische Werbeträger können demnächst vermieden werden. Facebook arbeitet an einem Programm, dass aus den Gesichtern meiner besten «Freunden» ein Gesicht einer virtuellen Person erstellt, die mir dann bekannt und vertrauenswürdig gleich neben der Werbebotschaft präsentiert wird. Da eine objektive oder sogar kritischen Berichterstattung weder «like-» noch «share-freundlich» wäre, sind die Nachrichten-Sortier-Algorithmen so programmiert, dass sie vorhandene Meinungen bestätigen.

Kurz, Facebook ist eine noch nie dagewesene Konzentration von Intelligenz, basierend auf einer quasi Echtzeit Datenanalyse unseres Nutzungsverhalten. Dies im Dienst der Werbetreibenden und allenfalls Regierungs-Organisationen, die uns Nutzer als Produkt kaufen.

Solange wir unsere persönlichen Daten gegen oberflächliche Gratisunterhaltung tauschen und diese zunehmend als «Nachrichten» verwechseln, hilft auch die beste Selbstbestimmungs-Gesetzgebung nichts. Wie der Cambridge Analytica Skandal von Facebook gezeigt hat, ist das Missbrauchspotential von zentralisierten Daten gewaltig.

Als die Ideologie des deutschen Nationalsozialismus und des italienischen Faschismus vor und während dem 2. Weltkrieg einen zu starken Einfluss auf die schweizerische Meinungsbildung ausübte, wurde die sogenannte «geistige Landesverteidigung» als Gegenoffensive lanciert. Als solidarischer Widerstand gegen die Propaganda des Nationalsozialismus und als Schutz unserer kulturellen Identität war die «geistige Landesverteidigung» eine vielfältige Bewegung und Zusammenarbeit zwischen Politiker, Intellektuellen, Medienschaffenden und «Influencern».

Ich vergleiche hier keinesfalls die Ziele des Nazi Deutschland mit denjenigen von Facebook, sondern vielmehr deren technologischen Möglichkeiten, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen und zu lenken. Gegenüber öffentlichem Bücherverbrennen und Radiohörverboten unter Todesstrafe sind die unsichtbaren Meinungslenkungsmöglichkeiten von Facebook um ein Vielfaches subtiler und stellen genau deshalb ein enormes Missbrauchspotenzial dar.

Brauchen wir eine neue «geistige Landesverteidigung», um uns vor algorithmisch gesteuerten «Nachrichten» zu schützen, deren Interessen wir zwar nicht kennen, die uns aber besser kennen als wir uns selbst? Oder sind wir schlau genug, um das Spiel der Algorithmen zu durchschauen? Oder doch nur alles Angstmacherei und Verschwörungstheorien?

Brauchen wir eine neue geistige Landesverteidigung? Read More »

Hallo Mami, ich bin 11 und schwanger von meinem Bruder

Seit zwei Wochen gilt in der EU und per se auch in der Schweiz die neue Datenschutz Grundverordnung. Während diese strengere Gesetzgebung absolut begrüssenswert ist und längst fällig war, ist kritisches Denken und Medienkompetenz nach wie vor der mit Abstand beste Schutz unseres Privatlebens.

Erinnern wir uns, dass Datenschutz nicht zwingend Schutz unserer Privatsphäre bedeutet. Wie der Begriff erraten lässt, geht es beim Datenschutz in erster Linie um die Sicherung und den Schutz von Daten, sowohl physisch (geschützte Server in gekühlten Räumen) als auch technologisch (verschlüsselt und gegen Hackerattacken gesichert). Was uns jedoch als digitale Bürgerinnen und Bürgen interessieren muss ist vielmehr der Schutz unserer Privatsphäre.

Wie mein kleines Experiment zeigt, fängt dieser Schutz bei uns zu Hause an. Ein einfacher wie beunruhigender Einblick in unser eigenes Verhältnis zu unserer Privatsphäre ist die automatische Vervollständigung von Suchbegriffen bei Google. Basierend auf einer Mischung von unserer eigenen Such-Historie sowie populären Suchabfragen in unserer Sprachregion vervollständigt Google unsere Suche, bevor wir fertig geschrieben haben. Wenn wir z.B. eine Google Suchanfrage starten mit «warum ist?», schlägt uns Google als Erstes «?die Banane krumm», als Zweites «?der Himmel blau» und als Drittes «?die Schweiz so reich» vor.

Ich bin ein 48-jähriger Vater von zwei Teenagern und habe mit einem privaten Browserfenster in Firefox, aktiviertem Tracking Blocker und gelöschten Cookies Google vorgeschaukelt, ich sei 12, 14 oder 15 Jahre alt um zu wissen, was hierbei die populärsten Suchbegriffe sind. Und hier sind die jeweils zehn populärsten Suchanfragen, die mir Google automatisch vorschlägt:

Ersetzen Sie «Hallo Google» mit «Hallo Mami und Papi» und lassen Sie die Resultate kurz auf sich wirken. Diese einfache Veranschaulichung macht bewusst, wie wichtig eine offene Gesprächskultur zwischen Eltern und Kinder sowie ein kompetenter Umgang mit digitalen Medien ist. Hier sind einige Tipps, wie sie sich und ihre Kinder besser schützen können:

Vermeintliche Anonymität ? Vergegenwärtigen Sie sich konstant, dass es eine absolute Anonymität im Internet nicht gibt. Mit jedem Klick, like oder share hinterlassen wir Spuren. Diese Spuren werden von den Dienstleistungsanbietern gesammelt, analysiert und zu Persönlichkeitsprofilen zusammengestellt um die Daten an Werbetreibende als Zielgruppen zu verkaufen.

Vorbildrolle ? Was wir unseren Kindern sagen ist etwa zehn Mal weniger wichtig als was wir ihnen vorleben. Wenn wir also vor unserem Smartphone kleben, nach unseren Badeferien sofort alle Fotos hochladen und im Minutentakt nachschauen, wer was gelikt hat, werden wir unserer Vorbildrolle offensichtlich nicht gerecht. Ein bewusster und gemässigter Gebrauch von digitalen Medien muss von uns vorgelebt werden, bevor wir diesen von unseren Kindern verlangen können.

Gratis gibt es nicht ? Wenn wir für ein Produkt, das wir brauchen, nichts bezahlen, sind wir das Produkt, das gebraucht wird. Es muss und deshalb nicht verwundern, dass Facebook, Google, Amazon und Cie. fleissig Daten sammeln, da diese unsere Daten die Hauptertragsquelle darstellen.

Kommunizieren ? Sprechen sie regelmässig mit ihren Kindern. Seien sie interessiert, ohne dabei mit dem gehobenen Zeigfinger das Videospiel im vornherein zu verteufeln. Zeigen sie echtes Interesse und stellen sie offene Fragen wie z.B. «warum spielst du dieses Game so gerne?», «was reiz dich daran?», «warum denkst du, das dies gratis ist?»

Warum ist all dies so wichtig? Ganz einfach weil unsere persönlichen Daten sehr schnell zu aussagekräftigen Persönlichkeitsprofilen wachsen. Und wer auch immer diese Daten besitzt und deuten kann, kann aussagkräftige Informationen über unser bisheriges und zukünftiges Verhalten machen. Wir werden berechenbar und entsprechend manipulierbar. Ein Blick nach China und sein «soziales Bewertungssystem» gibt uns einen Einblick auf was internationale Konzerne oder zunehmend datengetriebene Staaten mit unseren Daten anstellen können. Ein konstantes Daten-Bewusstsein und ein entsprechend sparsamer Umgang mit unseren eigene Daten ist der mit Abstand bester Schutz unserer Privatsphäre.

Tabelle als PDF herunterladen

Hallo Mami, ich bin 11 und schwanger von meinem Bruder Read More »

Scroll to Top