Kategorie: Medien Suchtprävention

  • Immer mehr Stadtzürcher Gymis verbieten Handys in den Pausen

    Immer mehr Stadtzürcher Gymis verbieten Handys in den Pausen

    Intervention durch Gleichaltrige : Projekt TechAngels

    Doch was tun, wenn die Handynutzung bei einzelnen problematisch wird?

    Die Atelierschule, das Gymnasium der Steiner Schule, setzt auf niederschwellige Interventionen von Gleichaltrigen: Jugendliche werden von Medienpädagog:innen und Psycholog:innen zu sogenannten «Tech Angels» ausgebildet.

    «Die Digitalisierung der Kantonsschule geschah schnell, vielleicht auch etwas zu schnell.»Daniel Zahno, Rektor der Kantonsschule Hottingen

    Als «digitale Schutzengel» sollen sie ihre Mitschüler:innen bei einem bewussten Umgang mit digitalen Geräten und Videogames unterstützen. Das Projekt wurde letztes Jahr an der Atelierschule lanciert. Inzwischen bilden auch andere Zürcher Gymnasien eigene «Tech Angels» aus, sagt Beat Richert, Medienpädagoge an der Rudolf Steiner Schule und Projektverantwortlicher.

    An der Steiner Schule gilt auf Sekundarstufe seit jeher ein Handyverbot auf dem Schulareal. Zusätzlich erarbeiten die Eltern zu Beginn jedes Schuljahres gemeinsam eine «Medienvereinbarung», wie sie zu Hause mit der Bildschirmzeit ihrer Kinder umgehen.

    Das Ziel dahinter, so Richert: «So gelten für alle Jugendlichen dieselben Regeln im Umgang mit dem Telefon. Nicht nur während dem Unterricht, sondern auch zu Hause.»

    Ganzer Artikel : https://tsri.ch/a/immer-mehr-stadtzuercher-schulen-verbieten-handys-in-den-pausen

  • «Be real» – echt jetzt?

    «Be real» – echt jetzt?

    Psychologische Tricks und fragwürdige AGBs: Was Eltern über die Social-Media-App BeReal wissen müssen.

    Leserfrage: Meine Tochter (14) ist ohnehin ziemlich viel auf Social-Media-Kanälen unterwegs, neu ist aber eine App hinzugekommen, die ich nicht wirklich einschätzen kann. Es handelt sich um «BeReal», bei der es ja darum geht, «ungeschönte» Bilder – es gibt weder Fotofilter noch Nachbearbeitungsmöglichkeiten – möglichst schnell hochzuladen. Was mich beschäftigt: Wer die Bilder «verspätet», also nicht unmittelbar auf die Aufforderung hin postet, wird mit «late» markiert und damit sozusagen gebrandmarkt. Zudem sollen die Nutzerinnen auf BeReal posten, ohne viel nachzudenken, was ich ebenfalls für fragwürdig halte. Wie seht ihr das? Und was sollten wir als Eltern über BeReal wissen? Liebe Grüsse: Tanja

    Liebe Tanja, besten Dank für Ihre Frage. BeReal ist effektiv eine weitere «soziale» Plattform, die seit 2020 um die Aufmerksamkeit von vorwiegend jüngeren Nutzerinnen und Nutzern kämpft. Hinter der Plattform stehen zwei französische Software-Entwickler, die wiederum von denselben Tech-Investoren finanziert werden, die unter anderem auch Geld in Facebook, Twitter und die Spieleplattform Roblox gesteckt haben. Die Geschäftsstruktur lässt demnach erraten, dass die Idee des echten und authentischen Seins mehr eine Marketingpositionierung als eine ernst gemeinte Aufmunterung zu mehr Selbstwertgefühl für Jugendliche ist.

    Wie User an die Plattform gebunden werden

    Anders als beispielsweise auf Snapchat oder Instagram, wo junge Menschen zum Teil Stunden verbringen, um das perfekte Selfie noch mit unzähligen Filtern zu optimieren, fordert BeReal die Nutzerinnen und Nutzer täglich auf, ein spontanes Foto von sich zu erstellen und zu teilen. Die Zeit der automatisch gesandten Aufforderung variiert, da man aus Belohnungssystemen von Games weiss, dass das Engagement der Nutzer höher ist, wenn man zu verschiedenen Zeiten überrascht wird. Die App sieht dann vor, dass Nutzerinnen innert zwei Minuten Fotos sowohl mit der auf sich gerichteten Kamera als auch mit der Kameraeinstellung in die Gegenrichtung machen. So entsteht ein möglichst realistisches Foto-Tagebuch, das dann mit Freunden geteilt, geliked und kommentiert werden kann.

    Das sind psychologische Tricks, um die Nutzerinnen und Nutzer möglichst lange, möglichst oft und meist unbewusst an die Plattformen zu binden.

    Um weiter Druck auf die Nutzerinnen und Nutzer auszuüben, sind die Fotos der Freunde nur so lange zu sehen, bis das nächste Foto hochgeladen wird, sprich ein Tag. Eingeführt von Snapchat und nachgeahmt von Instagram, wird diese Technik der Zeitlimitierung auch als «Dark Pattern» verstanden. Es sind dies psychologische Tricks, um die Nutzerinnen und Nutzer möglichst lange, möglichst oft und meist unbewusst an die Plattformen zu binden. Gelöscht werden die unsichtbar gewordenen Fotos jedoch nicht. Dazu aber später.

    Wer zu viele Versuche braucht, wird ausgelacht

    Wer es nicht schafft, innert zwei Minuten zwei spontane Fotos zu erstellen (die Fotos können ausschliesslich in Echtzeit und mit der von der App aktivierten Kamera geschossen werden) wird von der App sofort und vor allen Freunden mit der Anzahl Stunden, die man zu spät ist – «late!» – ermahnt. Auch diejenigen, die mehrere Versuche brauchen, um ein teilbares Foto zu erstellen, werden mit der angezeigten Anzahl der Versuche quasi an den Pranger gestellt. So entsteht ein mehrschichtiger sozialer Druck, einerseits um erst mal den Grundansprüchen der App selbst gerecht zu werden, andererseits jedoch, um so authentisch wie möglich zu sein.

    Wer fünfzehn Versuche braucht, um ein «spontanes» Foto zu erstellen, wird dann schon mal ausgelacht, was sich wiederum negativ auf das Selbstwertgefühl der Person auswirken kann. Durch den Zeitdruck entstehen in der Tat spontanere Fotos, bei denen der Hintergrund umso alltäglicher ist. Essgewohnheiten, Autonummern, Zimmereinrichtungen, Klassenzimmerdekoration und vieles mehr geben nicht nur unwahrscheinlich viel private Informationen preis, sondern werden auch gleich auf einer für alle «Freunde» einsehbaren Karte angezeigt, um alles sofort geografisch zu orten.

    Und woher kommt das ganze Geld?

    Der einzige «Mehrwert» für Nutzerinnen und Nutzer der Plattform besteht darin, die Attraktivität des eigenen täglichen Lebens mit demjenigen von anderen Freunden zu vergleichen. So entsteht auch hier das allmähliche Unbehagen, das das eigene Leben langweiliger ist als das der anderen, was wiederum depressive Gedanken auslösen kann.

    Apropos Mehrwert: Die App, die bis jetzt weltweit rund 53 Millionen Mal installiert wurde und dessen Marktwert zurzeit auf etwa 600 Millionen US-Dollar geschätzt wird, verdient offiziell keinen Rappen. Anders als Instagram, Tiktok und Snapchat, gibt es auf BeReal keine Werbung. Woher soll dann das Geld sprudeln? Der Verdacht liegt nahe, dass Hunderte von Fotos der gleichen Person, in gleichen zeitlichen Abständen aber in verschiedensten Situationen, eine wertvolle Datenbank zur Fütterung von selbstlernenden Gesichtserkennungsalgorithmen darstellt.

    Es darf vermutet werden, dass die Fotos wertvolles Rohmaterial für Überwachungssysteme darstellen, die auf künstlicher Intelligenz basieren.

    Die übliche Exit-Strategie der Investoren, eine magische Marke von z. B. 100 Millionen Benutzerinnen und Benutzern zu erreichen und zu hoffen, von einem grossen Player aufgekauft zu werden, ist immer mehr Geldgebern zu riskant. Es darf also vermutet werden, dass die Fotos von grösstenteils ahnungslosen Jugendlichen wertvolles Rohmaterial für Überwachungssysteme darstellen, die auf künstlicher Intelligenz basieren.

    Die allgemeinen Geschäftsbedingungen von BeReal sehen eine dreissigjährige (!) Bewilligung vor, während der die Plattformbetreiber Inhalte von Nutzerinnen und Nutzern auf anderen «sozialen» Plattformen wie WhatsApp oder Instagram teilen dürfen. Natürlich dürfen die nutzergenerierten Inhalte auch gehostet, gespeichert, reproduziert, modifiziert und unterlizenziert werden. Währenddessen darf von den Nutzern nur ein Foto pro Tag gelöscht werden. Weitsichtig, ja fast schon sarkastisch, erwähnt der Plattformbetreiber übrigens explizit, dass er nicht für verlorene Zeit und Gelegenheiten haftbar gemacht werden kann.

    Deshalb mein Rat: Be real, geh raus auf die Strasse und triff dich mit Freundinnen und Freunden – heute mal ohne Handy!

  • Schule, Schuld und Scham

    Schule, Schuld und Scham

    Die Frage nach dem Medienkonsum sorgt für Zündstoff zwischen Schule, Eltern und Schülerschaft. Einige Ratschläge, wie man dieses toxische Thema anspricht.

    Liebes Mamablog-Team, ich bin Vater zweier Kinder (7 und 11 Jahre) und Lehrer auf der Sekundarschulstufe in der Agglomeration von Zürich. Momentan bereite ich gerade die Elterngespräche für meine neue Klasse vor. Dies fällt mir in der Regel leicht, wenn es nicht das lästige Thema Mediennutzung gäbe. Viele Eltern behaupten, es gäbe konkrete Bildschirmregeln zu Hause, die meisten ihrer Kinder wissen jedoch nichts davon oder halten diese nicht ein. Da ich vermehrt Schüler und Schülerinnen habe, die wegen Schlafmangel im Unterricht einnicken, muss ich das Thema ansprechen. Sofort fühlen sich die Eltern jedoch angegriffen, starten zum Gegenangriff und verhindern eine konstruktive Kommunikation. Gerne würde ich zu diesem heiklen Thema Elternstimmen hören. Leserfrage von Fabian (47)


    Lieber Fabian, Ihr Anliegen scheint mir sehr aktuell und auch sehr wichtig. Wenn es ums Thema Mediennutzung geht, entsteht in der Tat ein schwieriges, fast toxisches Dreieck zwischen Schule, Eltern und Schülerschaft.

    Eigentlich wollen wir ja alle nur das Beste für unsere Kinder. Der Bildungsauftrag der Schule beziehungsweise der Lehrpersonen ist durch diverse Gesetze, Lehrpläne und Prozesse genau definiert. Die meisten dieser Texte und Prozesse stammen jedoch noch aus einer Zeit, in der es noch keine Smartphones gegeben hat. Und wenn es um die Nutzung dieser Teile geht, scheiden sich die Geister, entstehen Generationenkonflikte und öffnen sich kulturelle Klüfte. Entsprechend wichtig ist eine empathische und gegenseitig feinfühlige Kommunikation.

    Konstatieren anstatt beschuldigen

    Nachlassende schulische Leistungen, Konzentrationsschwächen, soziale Isolation oder zunehmende Müdigkeit sind allesamt Symptome, die durch übermässigen Bildschirmkonsum entstehen können.

    Bei solchen Beobachtungen ist es als Lehrperson naheliegend, mangelnde Disziplin im Umgang mit digitalen Medien zu vermuten oder sogar die Eltern dessen zu beschuldigen. Dies gilt es zu vermeiden, denn beschuldigte Eltern fühlen sich sofort angegriffen und holen in der Regel zum Gegenangriff aus, da ihr Kind aus ihrer Sicht gut erzogen und einmalig ist. Anstatt zu vermuten oder zu beschuldigen, genügt es, zu konstatieren:

    • «Ich bemerke, dass ihr Kind vormittags sehr müde ist».
    • «Ich beobachte, dass die Konzentrationsfähigkeit in den letzten Wochen erheblich abgenommen hat».

    Lassen Sie diese Tatsachen im Raum stehen und beobachten Sie danach die Reaktion. Falls beide Elternteile am Gespräch teilnehmen, löst dies wahrscheinlich ein sofortiger «interner» Dialog zwischen den beiden aus. Danach entsteht in den Köpfen der Eltern das unbehagliche Gefühl, dass Sie ihnen als Lehrperson mangelnde Disziplin oder fehlende Medienerziehung vorwerfen könnten. Diese Gedanken lassen wiederum Schuld- und sogar Schamgefühle entstehen. Vermeiden Sie jetzt diese beklemmende Situation mit weiteren, nicht beschuldigenden und offenen Fragen.

    • «Haben Sie ähnliche Symptome beobachtet?»
    • «Falls ja, haben Sie Erklärungen dazu?»

    Raus aus der Lehrerrolle und den Elternhut aufsetzen

    Falls hier das Thema Gaming, soziale Medien und Handy etc. von den Eltern noch nicht erwähnt wird, schlüpfen Sie aus der Lehrerrolle und tragen Sie kurz den Elternhut. Erzählen Sie als Vater von der unsäglichen Schwierigkeit bei Ihnen zu Hause, verbindliche Bildschirmregeln für Ihre beiden Söhne aufzustellen, dies dem verschiedenen Alter der beiden Buben gerecht zu gestalten, die Einhaltung regelmässig zu überprüfen und die Konsequenzen beim Regelbruch einzuhalten. Erzählen Sie auch, wie Sie sich regelmässig dabei ertappen, selbst die Regeln nicht einzuhalten und wie verdammt schwierig es für Sie sei, eine konsequent gute Vorbildrolle zu sein.

    Spätestens jetzt ist das Fundament für eine offene und konstruktive Diskussion geschaffen. Die Schuld- und Schamgefühle verblassen und ein lösungsorientierter Dialog auf Augenhöhe entsteht.

    Wir sind als Gesellschaft von der rasanten digitalen Entwicklung überfordert und haben für solche Anschuldigungen schlicht weder Raum noch Zeit.

    Erlauben Sie mir hier auch einen wichtigen Hinweis an alle Eltern. Versuchen Sie bei jedem Gespräch mit der Lehrperson, letztere als Mutter oder Vater wahrzunehmen, die den genau gleichen Herausforderungen ausgesetzt ist. Es handelt sich ja schliesslich nicht um ein Gespräch beim Kundendienst, wo Sie sich über mangelnde Wertschätzung ihres Kindes beklagen. Wir sind als Gesellschaft von der rasanten digitalen Entwicklung überfordert und haben für solche Anschuldigungen schlicht weder Raum noch Zeit.

    Erinnern Sie sich vor dem Gespräch, dass die Lehrperson in einer immer komplexer werdenden digitalen Gesellschaft die leidtragende Person ist, die mit den Konsequenzen von unkontrollierter Bildschirmnutzung umgehen muss, ohne aber einen verbindlichen Einfluss auf die Ursachen zu haben.

    Lifehacks, Beratung – ganz ohne Vorurteile

    Offerieren Sie als Lehrperson den Eltern Hilfe beim Bildschirmregeln erstellen (hier finden Sie einen hilfreichen Lifehack). Organisieren Sie, wenn nötig Diskussionsrunden unter Eltern oder auch einen Elternabend, wo es ausschliesslich ums Thema digitale Medien geht.

    Immer mehr Schulen bieten via Schulsozialdienst oder aber die Gesundheitsförderung spezifische Unterstützung zum Thema Medienerziehung oder organisieren wöchentliche Beratungsstunden mit Fachpersonen. Einige Schulen und Gymnasien sind auch dabei, eine «peer-to-peer»-Medienerziehungsunterstützung aufzubauen, bei der ältere Schüler und Schülerinnen die jüngeren unterstützen, sich vor den (Sucht)Gefahren von Games, sozialen Medien und dem Handy zu schützen.

    Vorbehaltlos und vor allem vorurteilslos über die enormen Herausforderungen der Medienerziehung zu sprechen ist die beste Voraussetzung zu einem gesunden und bewussten Umgang mit digitalen Medien.

  • Stimmt es, dass die Kinder von Techbossen keine Handys haben? 

    Stimmt es, dass die Kinder von Techbossen keine Handys haben? 

    ELTERNFRAGE ZUR MEDIENERZIEHUNG

    „Immer wieder höre ich von Geschichten, dass die Bosse der führenden Technologieunternehmen im Silicon Valley ihre Kinder viel strenger erziehen als allgemein üblich. Ihre Kinder schicken sie in Rudolf Steiner Schulen und anstatt Handys gibt es konsequent Waldspielgruppen und Holzspielzeuge. Wie viel stimmt von alldem und falls es zutrifft, wie lässt sich das erklären?“ Leserfrage von Boris aus Zürich


    Lieber Boris, danke für die Frage. Dieses Thema wird tatsächlich seit Jahren immer wieder in verschiedenen Medien diskutiert, teils ideologisch emotional, teils faktenbasiert und wissenschaftlich. Ich werde mir in diesem Text entsprechend erlauben, die Spannbreite von wissenschaftlichen Erkenntnissen bis hin zu meinen väterlichen und beruflichen Erfahrungen auszuschöpfen.

    Vier kulturelle Grundkompetenzen

    Die Basis und sogleich der kulturelle Grundpfeiler unseres Bildungssystems ist die Fähigkeit, lesen, schreiben und rechnen zu können. Sobald unsere Kinder die sechsundzwanzig Buchstaben und zehn Zahlen kennen, werden Kombinationen geübt. So entstehen Wörter und zusammengesetzte Zahlen. Die eigentliche Magie dahinter besteht darin, dass gleichzeitig lesen und schreiben gelernt wird. Wir sind also nicht nur «Konsumenten» von Texten und Zahlen, sondern wir werden zugleich zu potenziellen Schriftstellerinnen, Poeten und Mathematikerinnen erzogen. Heute sprechen wir von der «digitalen Kompetenz» als vierte kulturelle Grundkompetenz. In der digitalen Bildungsentwicklung unterlief uns jedoch ein epochaler Fehler. 

    Und so passierte es, dass Informatik mit Anwenderkompetenz verwechselt wurde.

    In den frühen Achtzigerjahren wurde durch die Erfindung von Microsoft Windows die grafische Benutzeroberfläche dem breiten Publikum zugänglich. Die eigentliche Revolution dieser Windows waren die Pop-up-Fenster, die das Bedienen von Programmierzeilen vereinfachten beziehungsweise Letztere verdeckten. Das User Interface (Schnittstelle zwischen Mensch und Computer) war erfunden und nistete sich in Windeseile zwischen Programmierer und Benutzer ein. Und so passierte es, dass Informatik mit Anwenderkompetenz verwechselt wurde. Wir erlagen der kollektiven Illusion, dass das effiziente Bedienen von vielen Windows etwas mit Informatik zu tun hätte. In der Realität jedoch wurden wir zu Bedienern degradiert und Schicht um Schicht vom Programmiercode entfernt. 

    Eine Generation von Anwendern

    Dieser digitale Keil, der jahrelang zwischen dem Bedienen des Fensters (lesen) und dem Codieren (schreiben) geschlagen wurde, liess eine ganze Generation zu einer «Read only»-Generation heranwachsen. Durch die schleichende Entfernung vom eigentlichen Programmieren, hin zum Nutzen von Software-Anwendungen, wurden wir zu Anwenderinnen und Anwendern erzogen. Erst seit der Einführung des Lehrplans 21 der Deutschschweizer Kantone konnten unsere Schulen dieser gefährlichen Entwicklung entgegenwirken. 

    Die digitale Elite im Silicon Valley ist sich dieser Entwicklung gezwungenermassen sehr bewusst. Und so erstaunt es auch nicht, dass viele Tech-Manager ihre Kinder im Umgang mit digitalen Medien strenger erziehen. Grundsätzlich gibt es dafür zwei Hauptgründe: Einerseits um zu verhindern, dass die Kinder nur zu Anwenderinnen und Anwendern und Softwarenutzenden heranwachsen, andererseits um sie vor dem enormen Suchtpotenzial von Videogames und «sozialen» Plattformen zu schützen. 

    Erfolgsrezept: Waldorfer Medienpädagogik

    Medienpädagogik ist ein zentraler Baustein der Rudolf Steiner Schulen. Die ersten sieben Jahre sind jedoch auf analoge Medien gerichtet, um den Kindern möglichst umfassende Kompetenzen für die reale Welt zu geben. Darauf aufbauend werden ab dem zwölften Lebensjahr digitale Medienkompetenzen gelernt. Auch hier hat das Verstehen der Technologie mindestens das gleiche Gewicht wie das Anwenden von Programmen. So wird zum Beispiel ein alter Computer in Einzelteile zerlegt, um genau zu verstehen, wie dieser funktioniert. Die Kinder lernen Programmieren, logisches Denken und Probleme in Teilprobleme zu teilen, um Lösungen zu erarbeiten (in der Pädagogik wird dies auch «computational thinking» genannt). Die steigende Beliebtheit von Waldorfschulen (allein in Kalifornien gibt es vierzig Schulen) und die Erfolgsquoten der Schülerinnen und Schüler (94 Prozent der Abgängerinnen und Abgänger schaffen es danach ins College) zeugt vom Erfolg der Waldorfer Medienpädagogik.

    Es ist auch kein Geheimnis, dass viele Silicon-Valley-Manager für ihre Kinder eine möglichst techfreie Erziehung anstreben. Sowohl der verstorbene Apple-Gründer Steve Jobs als auch Google-CEO Sundar Pichai und Snapchat-CEO Evan Spiegel hatten Smartphones unter 10 Jahren verboten und die Bildschirmzeit ihrer Kinder streng kontrolliert.

    Das Smartphone ist zweifellos eine geniale Erfindung, die uns als omnipräsentes Werkzeug in praktisch jeder Lebenssituation zur Hilfe steht. Es sollte jedoch genau als solches wahrgenommen werden. Ob Hammer, Stichsäge oder Sackmesser, jedes Werkzeug muss vor seiner Nutzung verstanden werden. Das Smartphone sollte hier keine Ausnahme darstellen. Da es für ein Kind unter zehn Jahren praktisch unmöglich ist, die komplexe digitale Technologie hinter dem glatten Bildschirm zu verstehen, macht ein elterlicher Schutz vor diesem «Werkzeug» Sinn. Sobald ein bewusster und gesunder Umgang mit sozialen Medien, Videospielen erlernt ist, wird auch die rein quantitative Bildschirmzeit weniger wichtig.  

    Oder wann hat Ihr Kind das letzte Mal eine Gebrauchsanleitung für Software gelesen?

    Im Lehrplan 21, der im Kanton Zürich seit 2018 angewendet wird, wird das Thema «Medien und Informatik» als Modul oder auch «transversales Fach» gelehrt. Richtigerweise wird dabei zwischen Medienbildung (kritisches Denken und Medienverständnis), informatischer Bildung (computational thinking und coden) und Anwenderkompetenzen (Nutzung von Programmen) unterschieden. Da die Silicon-Valley-Konzerne alles daransetzen, dass die Anwendung ihrer Erzeugnisse so einfach wie möglich ist (wann hat Ihr Kind das letzte Mal eine Gebrauchsanleitung für Software gelesen?), sollte der Fokus der Medienbildung in der kritischen Selbstreflexion und im informatischen Grundverständnis liegen. Unsere elterliche Unterstützung in der Medienerziehung ist hierbei unerlässlich. Nicht alle Kinder werden programmieren können, aber alle Kinder sollten wissen, was Programmiererinnen und Programmierer können.