Nach der Coronakrise die Bildschirmkrise?

Die Suchtforschung hat sich lange ausschliesslich den Konsumdrogen wie Tabak und Alkohol gewidmet. Erst seit einigen Jahren werden auch Verhaltenssüchte wie Essen, Sexualität oder Spielsucht als solche definiert und erforscht. Und seit 2013 wird die Internet Gaming Disorder auch von der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) gelistet.

Eine frisch publizierte Studie vom Institut für Delinquenz und Kriminalprävention der Zürcher  Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat mittels einer Online Befragung von zwölf- bis 20 jährigen Jugendlichen der Region Zürich erforscht, wie sich der Konsum von Drogen und Bildschirmen durch den Lockdown verändert hat.

Erfreulicherweise hatte der Lockdown eine durchwegs positive, d.h. rückgängige Wirkung auf den Konsum von Alkohol, Tabak und anderen Konsumdrogen (siehe Grafik). Gemäss der Studie wurde ein 14%iger Rückgang von Alkoholkonsum verzeichnet, ein 19%iger Rückgang vom Rauchen und sogar ein über 30%iger Konsumreduktion von anderen Drogen. Die Vermutung liegt nahe, dass die durch den Lockdown drastisch reduzierten Konsumgelegenheiten für diese Veränderungen verantwortlich sind. Die nahe Zukunft wird zeigen, ob von einer nachhaltigen Veränderung ausgegangen werden kann.  

Wenig überraschend hatte die häusliche Isolation einen erheblichen Einfluss auf die Bildschirmzeit, da die Bildschirme buchstäblich zum Fenster der Welt wurden. So verzeichneten alle von der Studie erfassten Bildschirm-Nutzungen teils signifikante Zunahmen (siehe Grafik). Die tägliche Fernsehzeit stieg bei den befragten Jugendlichen um 67% von täglich 42 Minuten auf 70 Minuten. Auch beim Gamen, Chatten und Surfen wurden 40-58%ige Zunahmen registriert.

Da online Games wie auch «soziale» Plattformen von Grund auf so konzipiert sind, um uns abhängig und süchtig zu machen, ist leider zu befürchten, dass es um ein Vielfaches schwerer fallen wird, dieser Ansprung von Bildschirmzeit rückgängig zu machen.

Ein grundlegendes Verständnis über «soziale» Plattformen und Games wird für Eltern wie auch Lehrpersonen deshalb immer wichtiger. Dabei geht es weniger darum, die Spiele spielen oder die Plattformen flink benutzen zu können, sondern viel mehr um das Verständnis, was unter der Benutzeroberfläche abläuft. Belohnungssysteme, visuelle, auditive und psychologische Tricks dieser digitalen Medien erkennen zu können wird deshalb immer wichtiger und eigentlicher Kern einer effektiven und nachhaltigen Mediensuchtprävention.

Die komplette Studie "Wie erlebten Jugendliche den Corona-Lockdown? Ergebnisse einer Befragung im Kanton Zürich" vom Institut für Delinquenz und Kriminalprävention der ZHAW kann hier runtergeladen werden.

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