Medien im Coronafieber

Eigentlich wollte ich mich draussen halten, kann mich nach dem niveaulosen Absacken unserer Politik-Kultur aber nicht zurückhalten, diese Zeilen zu schreiben.

Der Reihe nach:

  • Herr Roger Köppel, international anerkannter Journalist und Publizist sowie SVP Nationalrat argumentiert faktisch korrekt via sein persönliches Twitter Account: «Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga behauptet irreführend, wie alle seien gleichermassen vom Virus „betroffen“. Tatsache ist: Bedroht ist die sehr kleine, aber wichtige Minderheit alter und kranker Menschen. Die müssen wir abschirmen, nicht alle einsperren... ». Laut Statistik des Italienischen Gesundheitsministeriums sind die Corona Opfer im Durchschnitt 81 Jahre alt und grösstenteils bereits durch andere Krankheiten angeschlagen.
  • Einige Parteikollegen, allen voran Herr Michael Frauchiger, gelernter Sanitärmonteur und SVP-Politiker, sehen in Herrn Köppels faktischer Argumentation ein gravierender Mangel an Solidarität und twittert unverblühmt : «@KoeppelRoger mach eus allne en gfalle und heb eifacht de latz! Wen Begriffsch es, dass JEDI PARTEI (inkl. eusere, d'@svpch) IM LAND HINDEREM BUNDESRAT STAHT? Hesch es Brätt vor de fresse oder isch es würkli nur Ignoranz?!. En aständige SVPler weiss was #Solidarität isch, du nid!»
  • TA Medien, das Medienunternehmen mit der grössten Meinungsmacht der Schweiz, nützt die Situation und veröffentlicht auf der online Ausgabe des Tages-Anzeigers einen Artikel mit der clickbait Schlagzeile «En aständige SVPler weiss, was #Solidarität isch, du nid!». Die Narration des Artikels suggeriert, dass die Homosexualität und der frühe Tod des Vaters und Grossvaters von Herrn Frauchiger ihn bemutigt und quasi berechtigt, seiner launischen und respektlosen Meinung freien Lauf zu lassen.

Herr Frauchiger scheint die grundsätzliche Aufgabe eines guten Journalisten nicht verstanden zu haben: faktische Argumentation und Wahrheitssuche. Dieses Leitmotiv gilt übrigens auch für gute Politiker. Die Tatsache, dass sich Medien als vierte Staatsmacht einspannen lassen und die politische Diskussionskultur aktiv schwächen, scheint mir noch viel weniger zielführend. OK, da muss ich fairerweise noch hinzufügen, dass die SVP mit ihren Wahlkampagnen genau diese respektvolle Diskussionskultur seit Jahren in den Arsch tritt. Nutzen wir die Corona Chance, um sachlich und intelligent eine Lösung finden. Blinde Solidarität scheint mir dabei wenig zielführend.

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